Mittwoch, 18. Juni 2014

Hammerhart, hammergeil: Das 24 Stunden-Race Offenburg.

03.20 Uhr. Der Wecker klingelt. Ist aber vollkommen unnötig, ich bin längst wach. Um genau zu sein, seit 20 Stunden und 30 Minuten – dem Zeitpunkt, als mich mein Wecker tatsächlich noch unsanft vom Schlaf in den Wachzustand katapultierte. Jetzt schwinge ich meine Beine aber nicht aus einem bequemen Bett, sondern ich schäle mich aus einem viel zu dünnen Schlafsack, einer Jacke, noch einer Jacke und einer weiteren Jacke. Die Kälte packt mich sofort, ich fange an zu bibbern – kein Wunder, denn es ist arschkalt und die Müdigkeit tut ein Übriges. Um mich herum ist es still – leise Musik, weit entfernt brummt ein Stromgenerator und ab und an flitzt ein Glühwürmchen an mir vorbei und beleuchtet die Szenerie: mein Auto, das Auto von Rainer, meinem Teampartner, dazwischen Campingtisch, Liege und ein Chaos aus Tiefkühlboxen, Riegel- und Gelpackungen, Wasserflaschen, Stromkabeln und Lampenakkus. Ich bin als Teil eines Zweier-Teams beim 24-Stunden Rennen in Offenburg-Rammersweiher, Schnell mampfe ich noch ein Stück Reiskuchen, stöpsle meine Lampen an Helm und Lenker, schwinge mich aufs Rad und rolle zur Wechselzone. Jetzt bin ich selbst eins dieser Glühwürmchen, denn ich muss Rainer ablösen, der seit knapp zwei Stunden Runde um Runde im dunklen Wald dreht, um mir etwas Ruhe zu gönnen. Bloß nicht verspäten. Der Weg zum Wechsel ist kurz, aber es geht bergab und die Kälte dringt durch bis auf die Knochen. Kurz packt mich der Gedanke, wie toll es wäre, einfach zurück zu rollen und bis zum nächsten Morgen durchzupennen, dann siegt aber wieder das Durchhaltevermögen. Schnell noch zur offiziellen Renn-Verpflegung, einen warmen Tee reinschütten, dann heißt es Warten. Da kommt Rainer. Nein, doch nicht. Jetzt aber. Wieder nicht. Namen werden in die Nacht gerufen, die gleißend hellen Lampen der in die Wechselzone laufenden Teilnehmer blenden so stark, dass es schwierig ist, seinen Teampartner auszumachen. Da, endlich. Rainer. „Wie war’s“ „Gut“ „Geht’s noch?“ „Geht.“ Gesprochen wird nur das Nötigste. Der Transponder wechselt den Besitzer, Schulterklopfer und ab geht’s. Rein ins Festzelt, raus aus dem Festzelt, die steile Drecksrampe hoch. Zum wievielten Mal eigentlich schon? Keine Ahnung. Bei meinem ersten Turn am frühen Nachmittag war ich jedenfalls schneller. Deutlich. Jetzt presse ich und presse, aber der Reifen klebt scheinbar am Boden. Kurz flach, dann ab in den ersten Waldtrail. Im Licht der Helmlampe wirken die Wurzeln im Trail riesengroß, furchteinflößend. Zum Glück ist die Ideallinie längst im Kopf vorprogrammiert, wie in Trance pflüge ich durch die Kehren und zwischen den Bäumen durch. Dann flackern Discolichter grün, blau und rot durch den Wald, die Musik dazu ist seit Stunden verstummt. Nachtruhe. Nicht für mich und die anderen, die noch auf der Strecke sind. Wir kämpfen uns müde die nächste steile Rampe zur Weinflasche hoch. Wer kommt eigentlich auf die bescheuerte Idee, ein solch hässliches Wahrzeichen in die Landschaft zu zimmern? Immerhin dient es mir jetzt als ideale Markierung, um meine Rundenzeit berechnen zu können. Blick auf die Stoppuhr im Tacho. Zu langsam. Mit mehr Druck als zuvor geht es in die nächste Passage, muss Zeit gutmachen, um die Rundenzeit nicht zu sehr anwachsen zu lassen. Der Typ in meinem Windschatten, den ich kurz vorher aufgesammelt habe, verschwindet – nur sein Licht begleitet mich noch ein kurzes Stück. Wiegetritt, Asphalt geht in Schotter über, wieder bergauf. Wieder eine fiese Rampe, die mit jeder Runde fieser wird. Ich. Hasse. Sie. Abfahrt. Der Staub im Lichtkegel der Helmlampe verdichtet sich zu Nebel, macht die Sicht schwierig und ich bremse mehr als eigentlich nötig. Noch vor ein paar Stunden bin ich hier mit über 60 km/h runter geschossen, jetzt taste ich mit nur noch knapp 45 durch die Schotterkehren. Raus aus dem Wald. Wow. Hell steht der Mond über den Hügeln des Schwarzwalds, ganz hinten am Horizont kann man schon den nächsten Morgen erahnen. Schön. Eine kurze Euphoriewelle sorgt für einen noch kürzeren Push, schon schieße ich auf den nächsten engen Tunnel zwischen den Bäumen zu. Ein Flowtrail, der wirklich einer ist. Auch wenn hier die Wurzeln noch giftiger sind, als im ersten. Tückisch schnappen sie nach den Reifen, ich muss aufpassen, will keinen Sturz oder Platten riskieren. Konzentrieren soweit das möglich ist, auch wenn man schon über Kreuz guckt. Wie aus dem Nichts dann der Ausgang des Trails. Radweg. Vorbei an unserem Standplatz, Wiese, rein ins Festzelt, raus aus dem Festzelt. Rampe, Trail, Rampe, Rampe, Trail, Radweg, Wiese, Festzelt. Rein. Raus. Rampe, Trail, Rampe, Rampe, Trail, Radweg, Wiese. Reicht. Ab in die Wechselzone. Rainer wartet schon. Zuverlässig wie ein gut geöltes Uhrwerk. Perfekt. „Wie geht’s?“ „Gut“. „Wie viele Runden?“ „Drei.“ „OK“. „Nächster Wechsel in 65 Minuten?“ „Ja.“ Schulterklopfen. Abfahrt. Rainer auf die Strecke, ich zurück zum Standplatz. Bergauf. Mist. Am Standplatz habe ich diesmal kurze Abwechslung – Joachim ist da, der Dritte im Bunde. Er fährt solo, dafür sieht er noch erdammt fit aus und ist auch verdammt gut drauf. Wir quatschen kurz, dann verschwindet auch er wieder auf der Strecke. Schnell Akkus laden, essen, trinken, essen. Nasse Klamotten aus, frische, trockene an. Bloß nicht Auskühlen. Noch was essen, kurz ablegen auf der so verlockend bequemen Campingliege und die Beine entspannen. Zwanzig Minuten später klingelt wieder der Wecker. Ich schäle mich aus dem Schlafsack, schlüpfe in die Biketreter, stöpsle die Lampen an und schon stehe ich wieder in der Wechselzone. Zeit für die nächsten Runden ... nur noch knapp sechs Stunden bis zum Zielschluss ...





Fazit: Das Erlebnis 24-Stunden-Rennen war der Hammer. Einmalig zu erleben, wie die Sonne untergeht, wieder aufgeht, großartig das gemeinsame Abenteuer als Team – erst Recht, wenn man so perfekt harmoniert, wie wir das getan haben. Joachim ausdrücklich eingeschlossen – auch wenn wir uns während der 24 Stunden viel zu wenig gesehen haben. Die größte Leistung: eindeutig Rainer, der keine Sekunde gezögert hat, als ich wegen meiner 4 Peaks Knieverletzung eine längere Pause brauchte und er quasi ohne Erholung in die nächsten Runden gehen musste, damit wir umsetzen konnten, was wir uns vorgenommen hatten: einer von uns ist immer auf der Strecke. Danke auch dafür. Ob ich es wieder tun würde? Unbedingt – aber nicht mehr unter diesen Voraussetzungen. Ohne Betreuung hatten wir kaum bis keine Erholung. Essen machen, Klamotten wechseln, Akkus laden, Bike in renntauglichem Zustand halten ... mehr als ein paar Minuten Ruhe gab es nur bei den langen Nachtturns über vier Runden. Eindeutig zu wenig. Sonst war alles perfekt. Keine Defekte, die Wechsel haben funktioniert, keiner hat sich verletzt und auch die Strecke und die Organisation waren super. Dazu mit Platz sieben bei den Zweier-Teams und vor allem 55 gefahrenen Runden mit über 400 Kilometern und 10.000 Höhenmetern auch noch ein echt gutes und beeindruckendes Ergebnis. Insgesamt also: Schreit leider nach Wiederholung. Auch wenn es weh tat ...





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